Zwangsstörungen bei Kindern und Jugendlichen
Zwangsstörungen sind eine besondere Form von Angststörungen. Im Durchschnitt treten Zwangsstörungen erstmalig im jungen Erwachsenenalter (19-20 Jahre) auf, in ca. 25% der Fälle beginnt die Erkrankung aber bereits vor dem 15. Lebensjahr. Rund 0,5-4% der Kinder und Jugendlichen sind von Zwangsstörungen betroffen, verheimlichen ihre Symptomatik aber häufig. Das Alter bei Krankheitsbeginn variiert hier zwischen 6 und 14 Jahren, wobei der durchschnittliche Krankheitsbeginn bei 10 Jahren liegt.
Kann dem Zwang nicht gefolgt werden, kann sich ein unerträgliches Gefühl von Spannung oder Angst einstellen. Die Betroffenen versuchen trotzdem, häufig erfolglos, sich gegen die aufdrängenden Gefühle zur Wehr zu setzen.
Zwangshandlungen
Zwangshandlungen sind häufig wiederholte, ritualisierte Handlungen, deren Nichtdurchführung, obwohl die Handlungen willentlich kontrollierbar sind, der oder dem Betroffenen in der Regel nur schwer möglich ist. Kann die Zwangshandlung nicht verwirklicht werden, kommt es zu einem Anstieg an Anspannung, Angst oder auch Aggression. Zwangshandlungen werden oft ausgeführt, um die Anspannung vorausgehender Zwangsgedanken zu unterdrücken.
Typische Zwangshandlungen sind:
- Wasch- und Reinigungszwänge: Das Kind wäscht sich z.B. übermäßig häufig die Hände. Oder das Kind vermeidet beispielsweise, bestimmte Dinge zu berühren.
- Kontrollzwänge: Das Kind kontrolliert z.B. übermäßig häufig die Hausaufgaben.
- Zähl- oder Ordnungszwänge: Das Kind zählt, ordnet oder sortiert immerzu z.B. bestimmte Gegenstände in einer bestimmten Reihenfolge.
- Wiederholungszwänge: Das Kind wiederholt z.B. alltägliche Handlungen, wie Bettenmachen, übermäßig häufig.
- Sammelzwänge: Das Kind häuft Gegenstände zwanghaft an.
- Berührungszwänge: Das Kind verspürt einen übermäßigen Druck, bestimmte Gegenstände, Personen oder Körperteile immer wieder berühren zu müssen.
ritual
≠
zwang
Nicht jedes Ritual bedeutet Zwang!
Ganz im Gegenteil. Ritualisierte Verhaltensweisen kennen viele Menschen aus ihrem eigenen Alltag. Insbesondere im Kindesalter gehören festgelegte Gewohnheiten und wiederkehrende Handlungen zur normalen Entwicklung dazu, weil sie das Gefühl von Sicherheit, Geborgenheit und Zuverlässigkeit vermitteln. Hierzu zählen z.B. Einschlafrituale, ständiges Wiederholen bestimmter Geschichten/Scherze/etc.
Zwangsgedanken
Bei Zwangsgedanken handelt es sich um Gedanken, Bilder, Vorstellungen, Ideen oder Impulse, die sich den Betroffenen aufdrängen, immer wieder kehren und sich nicht unterdrücken lassen und Ängste, Sorge, Anspannung, Unbehagen oder auch Ekel auslösen können. Die Betroffenen erleben die Inhalte oft als fremd, abscheulich und teilweise als peinlich. Oft beziehen sich die zwanghaften Befürchtungen auf Verschmutzung, Bakterien, Genauigkeit, Symmetrien. Die sich aufzwingenden Bilder können aber auch aggressiver, sexueller oder religiöser Natur sein.
Beispiele für Zwangsgedanken:
- Das Kind hegt die starke Angst oder Sorge, dass es selbst oder geliebte Menschen verletzt werden, krank werden oder sterben könnten.
- Das Kind fürchtet, dass es sich selbst oder anderen Schaden zufügen könnte.
Zwangsgedanken führen dazu, dass der Druck steigt. Betroffene versuchen dann, durch Handlungen oder Gedanken etwas zu tun/denken, was das negative Gefühl reduziert. Ein Beispiel: Ein Kind muss x-mal die Stiegen auf- und abrennen, ansonsten könnte den Eltern oder Großeltern etwas Schlimmes passieren. Häufig kommt es also zu Zwangshandlungen als Form der Bewältigungsstrategie, um mit den unangenehmen Gefühlen umzugehen, die meistens nur kurzfristig greift, weswegen sich Zwänge in weiterer Folge oft ausbreiten.
Entstehung, Symptomatik und Verlauf
Es werden unterschiedliche Ursachen für die Entstehung und Aufrechterhaltung einer Zwangserkrankung diskutiert, wobei meistens verschiedene Faktoren zusammenspielen. Hierzu zählen:
Biologische Faktoren (z.B. Vererbung, Krankheiten)
Persönlichkeitsaspekte (z.B. Perfektionismus, Selbstunsicherheit)
Familiäre Faktoren (z.B. Konflikte)
Kritische Lebensereignisse (z.B. schwere Erkrankung eines Familienmitglieds, Mobbingerfahrungen in der Schule, Trennung der Eltern, Wiederholung einer Schulklasse)
- Soziale Faktoren (z.B. Schulstress, Konflikte mit Freundinnen und Freunden)
Funktionale Faktoren (z.B. Mangel an Aufmerksamkeit, Zuwendung oder Entlastung)
mögliche Warnzeichen für eine Zwangsstörung :
Ihr Kind zeigt über einen längeren Zeitraum (mind. 2 Wochen) an den meisten Tagen Zwangshandlungen und/oder hat Zwangsgedanken
Diese Zwangsgedanken und/oder -handlungen wiederholen sich ständig, werden als unangenehm, übertrieben oder unsinnig gesehen (abgesehen vom kurzfristigen Spannungs- und Angstabfall).
Ihr Kind versucht immer wieder, dagegen Widerstand zu leisten (was bei längerer Symptomatik geringer werden kann).
Für Ihr Kind besteht ein Leidensdruck und es erlebt Einschränkungen, z.B. im Sozialleben oder der eigenen Leistungsfähigkeit, insbesondere durch den besonderen Zeitaufwand, die manche Zwangshandlungen mit sich bringen können.
wie
reagieren?
Wenn sich bei Ihrem Kind erste Verhaltensweisen zeigen, die in Richtung Zwang gehen, kann versucht werden, diesen entsprechend Widerstand zu leisten, die Angst und/oder Anspannung auszuhalten, bis sich der Drang wieder verändert. Wichtig ist auch, Stressfaktoren zu reduzieren, weil diese oft den Zwang auslösen und/oder aufrechterhalten können.
Bei einer Zwangserkrankung wird versucht, Angst zu vermeiden, indem z.B. Zwangshandlungen durchgeführt werden. Dieses Vermeidungsverhalten führt aber dazu, dass die Erkrankung langfristig aufrechterhalten wird.
Häufig werden Eltern oder Bezugspersonen in dieses Zwangs- und Vermeidungsverhalten miteinbezogen. Der Zwang hat dann in manchen Bereichen auch schon Kontrolle über die Eltern gewonnen, die beispielsweise Zwangshandlungen (z.B. waschen, kontrollieren) für ihre Kinder übernehmen, im Vermeiden unterstützen (z.B. Tür wird für Kind geöffnet) oder ständig eingeforderte Rückversicherungen geben (z.B. „Nein, du hast sicherlich nicht XY berührt!“). Das geschieht häufig aus Unsicherheit, nichts falsch machen zu wollen oder nicht zu wissen, wie dem Kind sonst geholfen werden kann.
Wenn die Zwangshandlungen oder -gedanken aber über ein paar Wochen durchgehend präsent sind und Sie den Verdacht haben, Ihr Kind könnte eine Zwangsstörung haben, sollten Sie schnell professionelle Hilfe suchen, um dies abklären zu lassen (z.B. klinisch-psychologische Diagnostik), um bei Bedarf auch rechtzeitig und sehr rasch mit einer klinisch-psychologischen Behandlung oder Psychotherapie beginnen zu können.
so
können sie
ihr kind
unterstützen:
Ihr Kind immer wieder ermutigen und ihm das Gefühl geben, dass der Zwang zwar ein harter Gegner ist, den es aber besiegen kann, auch wenn es Rückschritte geben sollte. Führen Sie allerdings keine wiederholten Gespräche über Sinn und Unsinn der Zwänge.
Ihr Kind loben und auch manchmal belohnen.
Nicht tadeln, wenn Ihr Kind Zwänge zeigt, auf Schuldzuweisungen verzichten und keine Erwartungen äußern, dass Kind müsse sich nur mehr anstrengen, um die Zwänge loszuwerden.
Bereiche und Aktivitäten stärken, die nichts oder wenig mit dem Zwang zu tun haben.
Sich Schritt für Schritt den Ausführungen der Zwangshandlungen, Rückversicherungen etc. entziehen, sofern sie darin eingebunden sind.
Hinweis: Dieses elterliche Entziehen aus den angepassten Verhaltensweisen kann zu einer kurzfristigen Verschlechterung des Gefühlslebens des Kindes und zu Wiederstand und Konflikten führen. Wichtig ist hier, die kurzfristige Belastung zu bewältigen, damit es dem Kind dauerhaft bessergehen kann. Durch das Ausführen und Übernehmen von Zwangshandlungen wird nämlich langfristig die Zwangserkrankung unterstützt und nicht das Kind!Sich nicht emotional unter Druck setzen lassen (z.B. „wenn du das nicht machst, wird mein Zwang schlimmer und du bist schuld!“)
- Auf Ihre eigenen Bedürfnisse und die der anderen Familienmitglieder achten. Die Zwangsstörung soll nicht das Leben des gesamten Familiensystems bestimmen (belasten).
- Ihr Kind motivieren, professionelle Unterstützung in Anspruch zu nehmen oder sich selbst Hilfe suchen.
Herzlichen Dank
an Frau Dr. Petra Sackl-Pammer, Klinische Psychologin, Kinder-Jugend-und Familienpsychologin, Psychotherapeutin (Verhaltenstherapie) an der Medizinischen Universität Wien, Abteilung für Kinder-und Jugendpsychiatrie
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