Nur Mut zur Wut – über aggressives Verhalten bei Kindern
Aggressives Verhalten – ist das noch „normal“?
Kinder (ebenso wie Jugendliche und erwachsene Menschen) sind manchmal aggressiv. Ein gewisses Ausmaß an Aggression ist normal. Wenn diese Art der Aggression aber sehr häufig vorkommt und einen hohen Leidensdruck bei dem Betroffenen und dem familiären/sozialen Umfeld auslöst, wird von einer pathologischen (krankheitswertigen) Ausprägung ausgegangen. Aggressives Verhalten kann also in einem normalen Ausmaß, aber auch bei multiplen psychischen Erkrankungen als Symptom vorkommen.
Hierbei ist es wichtig, genau herauszufinden, woher die Aggression kommt und auch welches Ziel sie verfolgt. Ist es Stressabbau? Überforderung? Steckt hinter der Wut Trauer? Oder Angst? Der Weg zur Besserung muss in der Psychologie immer zuerst zur Frage nach dem „Warum“ führen.
Die Frage nach dem Warum
Wut und Aggression sind Gefühle, hinter denen sich häufig ein anderes Bedürfnis verbirgt. Durch Erziehung und Sozialisation erlernen wird bereits als Kinder Strategien, mit unangenehmen Gefühlen umzugehen. Viele Kinder, die aggressives Verhalten zeigen, fühlen sich nicht verstanden, überfordert oder haben gelernt, dass sie durch ihre Aggression Ziele erreichen. Das beginnt bereits bei dem Kleinkind, dass sich im Supermarkt tobend auf den Boden wirft und von den Eltern aus Verzweiflung und Scham zur raschen Beruhigung bekommt, was es möchte. Aggression kann aber auch ein Schutzfaktor sein: „Bleibt mir bloß fern!“ Oder aber: „Lieber tue ich den anderen weh, bevor sie mir weh tun können.“
Fakt ist, dass Aggression für niemanden angenehm ist: Weder für das sogenannte Opfer aggressiven Verhaltens, noch für den oder die Täter:in.
Gewalttätiges Verhalten ruft gewalttätiges Verhalten hervor. Viele Kinder und Jugendliche, die sich aggressiv gegenüber Gleichaltrigen oder Erwachsenen zeigen, haben Misshandlung erlebt. Verbale oder körperliche Aggression durch Elternteile oder andere Bezugspersonen sind ein häufiger Auslöser für aggressives Verhalten.
Die Streitkultur innerhalb einer Familie oder im engeren Umfeld eines Kindes oder Jugendlichen formt die eigene Wahrnehmung und Problemlösestrategien, wenn es zu Konflikten kommt. Wird einem Kind eine wertschätzende und rationale Streitkultur vorgelebt, so ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass es selbst auf adaptive (positive) Strategien zurückgreifen kann.
Ständige emotionale oder kognitive Überforderung durch große Anforderungen der Umwelt begünstigt das Auftreten von aggressivem Verhalten. Wenn Ihr Kind schulische Probleme hat, sich nicht unterstützt fühlt oder andauernd das Gefühl hat, nicht gut genug zu sein, ist die Wahrscheinlichkeit von aggressiven Verhaltensweisen hoch. Diese können sich je nach Kind gegen andere oder sich selbst richten. Durch häufige Ermahnungen, Schimpfen und Belehrungen sinkt der Selbstwert von Kindern stetig und sie haben Schwierigkeiten, diese negativen Gefühle auszudrücken. Manchmal gibt es dann nur noch eine „Lösung“: Schreien, Schlagen, Schimpfen, um sich Luft zu machen.
Kinder benötigen altersadäquate Unterstützung in schulischen und emotionalen Belangen, die sehr individuell ausfallen kann. Manche brauchen mehr, manche weniger. Wichtig ist, dass Angehörige und Lehrpersonen ein Auge darauf haben, wie es Schüler:innen im Unterricht geht und ob sie sozial, emotional oder kognitiv überfordert werden. Auch durch die Ablehnung oder Ausgrenzung durch Gleichaltrige kann die emotionale und soziale Kompetenzentwicklung von Kindern und Jugendlichen stark leiden. Leider wird daraus zunehmend ein Teufelskreislauf – je weniger positive Kontakte Kinder und Jugendliche zu Peergroups haben, desto schwieriger wird es für sie, sozial zu lernen und dazuzugehören.
- Malen Sie gemeinsam mit Ihrem Kind einen Zwerg. Erzählen Sie Ihrem Kind, dass dieser Zwerg manchmal ganz schön sauer werden kann.
- Fragen Sie Ihr Kind, warum der Zwerg wütend sein könnte und wann es selbst häufig wütend ist.
- Besprechen Sie, was der Giftzwerg tut, wenn er wütend ist. Fragen Sie auch Ihr Kind, wie es reagiert, wenn es zornig ist.
- Wenn Ihr Kind schlagen/beißen/schreien oder ähnliches aggressives Verhalten angibt, dann bieten Sie Alternativen an.
- Gestalten Sie gemeinsam zwei Plakate mit je einem Giftzwerg. Der erste ist sehr wütend und schimpft und schlägt um sich. Der zweite Zwerg ärgert sich, zieht sich aber zurück oder spricht an, was ihn stört. Fragen Sie Ihr Kind, welchem Zwerg es bessergeht.
- Besprechen Sie mit Ihrem Kind, dass wir manchmal so wütend werden, dass wir ein bisschen Zeit und Ruhe benötigen, um wieder entspannen zu können.
- Erklären Sie das Gefühl „Wut“ an einem Beispiel. Wenn Sie einen Tee frisch zubereiten, ist er noch zu heiß, um getrunken werden zu können. Da können wir uns ganz schön schmerzhaft die Zunge verbrennen. Wenn der Tee etwas ausgekühlt ist, können wir ihn aber richtig genießen.
- Auch die Wut benötigt manchmal eine Abkühlphase. Etablieren Sie mit Ihrem Kind zwei Orte. Einen gemütlichen Ort bekommt Ihr Kind (zum Beispiel eine Kuschelecke auf der Couch), den anderen Ort bekommen Sie (zum Beispiel Ihr Schlafzimmer). Besprechen Sie in einer ruhigen Minute, dass es manchmal besser ist, jeder geht an seinen „Abkühlort“ und danach wird über Probleme gesprochen.
- Ihr Kind lernt dadurch, dass auch Sie manchmal eine Abkühlphase brauchen und Sie es nicht einfach wegschicken, sondern ehrlich kommunizieren und trotzdem für sich und Ihr Kind da sind.
- Versuchen Sie in Konfliktsituationen diesen sicheren Abkühlort anzubieten und schicken Sie Ihr Kind nicht zur Strafe weg. Es lernt so nur, dass es mit negativen Emotionen alleine zurechtkommen muss und das „wütend sein“ nicht erwünscht ist.
- Besprechen Sie möglichst alle Konfliktsituationen mit Ihrem Kind. Sie stärken dadurch die emotionale Kompetenz Ihres Kindes und das Vertrauen in Sie als sichere Bezugsperson.
Anmerkung: Wir alle wissen – das ist alles andere als leicht. Lassen Sie sich nicht entmutigen und machen Sie sich keine Vorwürfe, wenn es Ihnen auch mal nicht gelingt, ruhig zu bleiben. Wir sind alle Menschen und geben unser Bestes. Ihre Bereitschaft, für Ihr Kind da zu sein und sich selbst zu reflektieren ist sehr viel wert. Seien Sie stolz darauf!
buchtipp:
Im psychologischen Kinderbuchprojekt „Igelino“ wird pro Band je eine psychische Erkrankung kindgerecht und altersadäquat durch eine Bildergeschichte erklärt. Angehörige erhalten die wichtigsten Informationen über die psychische Störung und eine Anleitung, wie diese mit den Kindern besprochen werden kann. Ebenso enthält jedes Buch psychologische Tipps für Bezugspersonen und Ressourcenübungen, die gemeinsam mit dem betroffenen Kind durchgeführt werden können.
Der Band "Igelino und der wilde Welpe" hat Aggressionen zum Thema.