Medienerziehung
28. Juni 2020
·
5 Minuten Lesezeit

Sexuelle Gewalt im Internet

Geschrieben von:
Elternseite Team
Elternseite Team
Artikelinfo:

Rund 30 % aller Kinder und Jugendlichen sind von sexueller Gewalt im Internet betroffen. Sie wissen oft nicht, dass das, was ihnen passiert, strafbar ist, und wie sie sich Hilfe holen können. Lesen Sie hier, was Kindern im Internet widerfährt und wie Sie sie schützen und unterstützen können.

Eine aktuelle Analyse von 600 Rat auf Draht Beratungsprotokollen zeigt, dass Kinder und Jugendliche mit sexueller Belästigung im Netz nach wie vor oft alleine gelassen werden. Sexuelle Belästigung im Internet geschieht in sehr unterschiedlicher Weise. Betroffen sind Kinder wie Jugendliche, aller Geschlechter. 

 

So werden Kindern im Volksschulalter etwa sexuelle Fragen per privater Nachricht gestellt oder es werden ihnen Dickpics (Penisbilder) zugesandt. Dies geschieht nicht, weil Kinder auf Seiten sind, wo sie nicht sein sollen, sondern weil Täter*innen gezielt dort hingehen, wo sich Kinder und Jugendliche aufhalten.

 

Jugendliche bekommen Nacktbilder zugeschickt und werden aufgefordert, selbst welche zu schicken, erhalten Links zu Pornoseiten oder auch sexuelle Beschimpfungen/Drohungen, wie etwa „Ich komm zu dir und f*** zuerst dich und dann deine Schwester“ oder „B*** mir einen, du kannst ja sonst nix, Schw***tel“.

Schrift "Ok?" auf Handfläche

In den Gesprächen mit Jugendlichen stellen die Berater*innen immer wieder fest, dass sexuelle Belästigung online für sie etwas „Normales“ ist, das „im Internet eben passiert.“

 

Es ist besonders bedenklich, dass sie oft sogar denken, dass sie an der sexuellen Belästigung selbst schuld seien. Denn „wenn man ein sexy Foto postet, dann muss man halt damit rechnen.“

 

Hier kommt es zu einer klaren Täter-Opfer Umkehr bei den Betroffenen. Denn das, was die Befragten berichten, sind meist ganz klar Straftaten. Sie holen sich allerdings kaum Unterstützung, sondern versuchen, das Problem alleine zu lösen. Nicht verwunderlich, wenn es gar kein Bewusstsein dafür gibt, dass das, was sie erlebt haben, klar verboten ist. Und wenn es kein Bewusstsein dafür gibt, dass egal, wie man sich präsentiert, niemals eine sexuelle Belästigung gerechtfertigt ist. Das muss sich ändern. Genau dieses Bewusstsein müssen wir Kindern und Jugendlichen vermitteln. Es ist unsere Verantwortung.

Kinder und Jugendliche müssen wissen, dass vieles, was ihnen passiert, strafbar ist.

Es ist verständlich, dass derartige Ergebnisse bei Eltern große Sorgen auslösen. Die Idee ist dann oft, Kinder durch Verbote zu schützen. Leider ist dies nicht zielführend, da man sich dadurch als zukünftige*r Ansprechpartner*in disqualifiziert und Kinder andere Wege finden, die Verbote zu umgehen.

 

Außerdem ist es nicht die Schuld der Kinder, zumal sie sich nicht an Orte begeben, an denen es besonders gefährlich ist, sondern online Orte, an denen sich Kinder und Jugendliche aufhalten, von kriminellen Personen ganz gezielt aufgesucht werden.

SEXUALERZIEHUNG SCHÜTZT

Gerade wenn es um sexuelle Gewalt geht, braucht es Sexualerziehung von Beginn an. Diese hat nichts damit zu tun, Kindern von erwachsener Sexualität zu erzählen. Es geht darum, sie z.B. zu begleiten, positive und negative Gefühle unterscheiden zu können. Geschlechtsteile zu benennen und das Kind klar Grenzen setzen zu lassen. Denn nur, wenn in der Familie über Sexualität gesprochen wird, kann auch sexuelle Gewalt im Internet präventiv besprochen werden. Zu dem braucht es viele der Fertigkeiten, um zu merken, wann jemand zu weit geht.

Mädchen in verdunkteltem Raum

Was ist strafbar?

„So lange in echt nichts passiert ist, kann man auch nichts machen.“ Diesen Satz hören Kinder durchaus. Dabei stimmt er ganz und gar nicht. Vieles was an sexueller Gewalt im Internet geschieht, ist klar durch Gesetze erfasst und strafbar.

  • Jemand droht Ihrem Kind damit, ihm oder anderen weh zu tun oder Nacktfotos oder -videos weiterzuschicken. Das ist als Gefährliche Drohung strafbar (§ 107 StGB, StGB steht für Strafgesetzbuch).

  • Jemand drängt Ihr Kind durch eine solche Drohung oder mit Gewalt dazu, Nacktaufnahmen von sich zu schicken oder zu anderen sexuellen Handlungen (per Webcam oder im realen Leben). Das ist (schwere oder geschlechtliche) Nötigung (§§ 105, 106, 202 StGB).

  • Jemand erpresst Ihr Kind: Zum Beispiel damit, ihm oder anderen weh zutun oder Nacktaufnahmen des Kindes zu veröffentlichen, wenn kein Geld bezahlt wird, weitere Aufnahmen geschickt werden oder das Kind sich nicht mit der Person trifft. Das nennt sich „Sextortion“. Wird Geld gefordert, ist das Erpressung (§ 144 StGB). Werden Nacktaufnahmen oder ein Treffen gefordert, ist das Nötigung (siehe oben).

  • Jemand stalkt Ihr Kind online über längere Zeit (§ 107a StGB „Stalking“).

    Unter dem Begriff "Stalking" („beharrliche Verfolgung“) werden wiederholte Verfolgungshandlungen gegen eine Person verstanden, die deren Lebensführung unzumutbar beeinträchtigen: beispielweise Verfolgen und Nachgehen, wiederholte unerwünschte Anrufe, Briefe, E-Mails und andere Nachrichten.

  • Jemand mobbt Ihr Kind online über längere Zeit vor vielen Menschen (z. B. in einem sozialen Netzwerk oder einer Klassen-WhatsApp-Gruppe) durch Beleidigen, Bloßstellen oder das Veröffentlichen von Nacktaufnahmen (§ 107c StGB „Cyber-Mobbing“).
  • Ihr Kind ist unter 14 Jahre alt und jemand will es, um es sexuell zu belästigen, zu einem Treffen überreden oder dazu, pornographische Aufnahmen von sich zu schicken. Das heißt Cyber-Grooming und ist nach § 208a StGB strafbar.

  • Ihr Kind ist unter 14 Jahre alt und jemand verleitet es dazu, sich vor der Webcam selbst zu befriedigen. Das ist sexueller Missbrauch (§ 206 StGB oder § 207 StGB). Auch wenn Ihr Kind zwar über 14 Jahre alt ist, aber es jemand so einschüchtert, nötigt (siehe oben) oder eine Zwangslage ausnützt, sodass sich das Kind vor der Webcam selbst befriedigt, ist das strafbar (§§ 202, 205, 205a StGB).

  • Jemand schickt Ihrem Kind pornographische Aufnahmen. Auch das kann je nach Alter und Umständen strafbar sein (§§ 208, 218 StGB; §§ 1 und 2 Pornographiegesetz).

  • Ihr Kind ist unter 18 Jahre alt und jemand macht oder besitzt ohne sein Einverständnis pornographische Aufnahmen von ihm oder jemand veröffentlicht oder schickt solche Aufnahmen mit oder ohne sein Einverständnis weiter: Das gilt als Kinderpornographie und ist nach § 207a StGB strafbar.

  • Ihr Kind ist unter 14 Jahre alt und jemand macht, besitzt, veröffentlicht oder schickt pornographische Aufnahmen von ihm weiter. Das ist immer als Kinderpornographie strafbar, egal ob das Kind zugestimmt hat oder nicht (§ 207a StGB).

Die rechtliche Lage ist eindeutig

Gefährliche Drohung, Nötigung, Erpressung, Stalking, Cyber-Mobbing sowie bestimmte Sexualdelikte (z. B. §§ 202, 205, 205a, 218 StGB) sind unabhängig vom Alter des Opfers strafbar. Anzeige kann daher auch von einem erwachsenen Opfer erstattet werden.

 

Betroffen macht uns, dass sich Betroffene erst spät oder oft gar keine Hilfe holen. Viele denken, Sie seien selbst Schuld. Leider ist dies erklärbar. Jugendliche erleben oft, dass Opfer zu Täter*innen gemacht werden. Hat z. B. ein Jugendlicher erlaubterweise ein Nacktbild von sich verschickt und dieses wird verbotenerweise danach weiterversendet, wird häufig der*die Sender*in beschuldigt. „Wer so etwas macht, muss damit rechnen.“ Doch das ist grundfalsch!

 

Jugendliche ab 14 Jahren dürfen Nacktfotos von sich verschicken, an Personen die ebenso mindestens 14 sind und diese auch haben möchten. Das Weiterleiten dieser Fotos ist strafbar. Das müssen Jugendliche wissen, nur so können sie sich selbst schützen, sich nicht strafbar zu machen. Oft werden diese Fotos von vielen weitergeleitet, ohne zu wissen, dass es eine Straftat ist!

  • Hier finden Sie einen Kurztest zum Überprüfen, ob ein Foto weitergeleitet werden darf.

wissen schützt

Kinder brauchen unsere Unterstützung, um sexuelle Belästigung zu erkennen, um sich davor schützen zu können und um sich wehren zu können.

 

 

Von den befragten 11-18-Jährigen wurden nur 32 % über die Gefahren von sexuellen Übergriffen online informiert. Sie wünschen sich, dass Jüngere besser informiert werden. Denn sie selbst mussten nach ihren ersten Erfahrungen, selbst Strategien finden.

 

Als Elternteil hat man die Chance, seine Kinder Schritt für Schritt beim Weg ins Internet zu begleiten. So wie man mit Kleinkindern an der Hand bei der Ampel erklärt, dass man bei Rot stehen bleibt und klar festlegt, wer das Kind vom Kindergarten abholen darf. Genauso müssen wir auch die Chance nützen, Kindern Informationen und Werkzeuge zur Verfügung zu stellen, wenn es um Gefahren im Internet geht.

 

Es ist nur allzu verständlich, dass Eltern sich Filter wünschen, die vor allen Gefahren schützen. So wie es diese für das offline Leben nicht gibt, gibt es sie auch online nicht. Sie können nie eine Gefahrenerziehung fürs Internet ersetzen.

 

„Ich muss nicht aufpassen, weil mein Papa hat mir einen Filter aufs Handy gemacht.“

 

So lernen Kinder, dass sie im Internet nichts hinterfragen müssen. Dabei wäre es so wichtig, dass sie dies Schritt für Schritt lernen und üben können. Spielen sie ein Spiel, bei dem man auch miteinander chattet, gilt es klar zu machen, was man mit Personen, die man nur aus dem Internet kennt, besprechen kann (wie sehr man das Spiel mag, wie man ein Level lösen kann) und was nicht (wo man wohnt, in welchen Verein man geht).

 

Machen Sie klar, dass niemand einem einfach etwas schicken darf, was einem unangenehm ist und dass ihr Kind direkt zu Ihnen kommen kann, wenn jemand etwas Unangenehmes schreibt oder schickt. So werden Sie von Beginn an ein vertrauensvoller Ansprechpartner. Wenn Eltern alles verbieten, trauen sich Kinder kaum zu ihren Eltern, wenn etwas passiert ist. Obwohl sie an dem, was passiert ist, gar keine Schuld haben. Z.B. weil ihnen ein Erwachsener verbotenerweise ein Nacktbild geschickt hat.

 

Zum Schutz der Kinder müssen wir vermitteln,

dass es im Netz Menschen gibt, die einem nichts Nettes wollen.

dass niemand Ihrem Kind Nachrichten oder Fotos schicken darf, die ihm unangenehm sind.

dass sie gemeinsam Personen, die das tun, melden und blockieren können.

dass Personen, die einen wirklich mögen, niemals wollen, das man selbst etwas tut, das sich nicht gut anfühlt.

Achten Sie darauf, wie sie über Personen sprechen, die Nacktfotos versendet haben. Ein „selbst Schuld“ verstärkt Schuldgefühle von Opfern sexueller Gewalt.

 

Wollen wir Kinder schützen, müssen sie lernen,

... wie Beziehungsanbahnung aussehen kann. Oftmals denken Jugendliche, dass das Versenden eines Dickpics, dazu führen kann, dass sich der Schwarm in einen verliebt.

...  wie sie auf ihr eigenes Gefühl vertrauen können. Kinder und Jugendliche müssen gestärkt werden, dass es schon ausreicht, sich nicht sicher zu sein, ob sie etwas wollen, um es nicht zu tun.

... was alles im Bereich der sexuellen Gewalt online klar verboten ist.

... wie sie das Gesetz direkt auch beim Versenden von Nudes einbringen können. Z.B. "Das Bild ist exklusiv für dich. Weißt du sicher eh, ein Weiterschicken wäre strafbar."

 

Das Vermitteln von Schuldgefühlen muss gestoppt werden, wenn wir wollen, dass sich Jugendliche Hilfe holen!

VIDEO-BERATUNG ONLINE

Wenn Sie noch Fragen haben oder Ihre persönliche Situation besprechen wollen: Melden Sie sich beim Beratungsteam der Rat auf Draht Elternseite! Ein Gespräch bringt Entlastung.