Nachgefragt: Wiebke Schenter zum Thema Regretting Motherhood
Viele Mütter machen die Erfahrung, dass der Alltag als Mama nicht nur rosig ist. Überforderung und Überlastung sind häufige Themen in unserer Online-Videoberatung. Trotzdem spricht Wiebke Schenter mit Regretting Motherhood ein Tabuthema an. Wir wollten mehr wissen und haben sie zum Online-Interview getroffen.
Elternseite: Hallo, magst du dich kurz vorstellen, wer du bist?
Wiebke Schenter: Ich bin Wiebke, 41 Jahre alt, Mutter von zwei Kindern, fünf und zehn Jahre alt, bin eigentlich aus Deutschland, und lebe seit 22 Jahren in Österreich. Ich bin selbstständig als Content-Creatorin, schreibe Kolumnen, ein Buch habe ich jetzt auch geschrieben.
Elternseite: Auf deinem Kanal ist Regretting Motherhood ein wichtiges Thema – wie es dazu gekommen?
Wiebe Schenter: Ich habe schon immer sehr ehrlich über Mutterschaft und Elternschaft berichtet, über die Schwierigkeiten und Ambivalenzen. Und das ist eigentlich jeder Frau bekannt, sogar die, die es wirklich super finden, stimmen mir schon zu, dass ein kotzendes Kind jetzt nicht die Erfüllung ist.
Allerdings hat sich das bei mir so entwickelt, dass ich eigentlich, wenn ich gewusst hätte, auf was ich mich da alles einlasse, aus heutiger Sicht keine Mutter mehr werden würde. Die Menschen, die hier jetzt mit mir leben, sind wundervoll, aber hätte ich sie nicht, wäre ich auch kein unglücklicher Mensch.
Es geht mir darum, das sagen zu dürfen, dass man eben diese Mutterrolle ablehnt und nicht herauskommt. Denn was soll ich machen, ich liebe ja die Kinder und ich will sie nicht verlassen und bin ihre Mutter. Also muss ich damit umgehen lernen, obwohl es so meinem Selbst widerspricht, diese kümmernde, fürsorgliche, immer bereit seiende Mutter zu sein, die sich selbst ein bisschen aufgibt für die Familie, für die Kinder. Das bin ich einfach nicht.
Elternseite: Würdest du für uns noch einmal den Begriff Regretting Motherhood definieren?
Wiebke Schenter: Eigentlich läuft es immer auf die Frage hinaus: Würdest du mit deinem Wissen von heute, dich noch einmal für Kinder entscheiden, ja oder nein?
Wenn du sagst, ja trotz aller Widrigkeiten und egal wie schlecht es mir damit geht, ich würde diesen Schritt noch mal gehen. Dann bist du mit ambivalenten Gefühlen und die darfst du auch haben, aber dann ist es nicht Regretting Motherhood. Aber wenn du sagst, jetzt wo ich weiß, was da auf mich zu kommt, was das von mir abverlangt, was das mit mir und meiner Psyche macht, wenn ich es noch mal entscheiden könnte, würde ich es nicht machen, dann bereust du deine Mutterschaft. Ich würde jetzt mit meinem Wissensstand kein Kind mehr kriegen.
Elternseite: Es geht bei „Regretting Motherhood“ also nicht um die mangelnde Liebe zu den Kindern, sondern um die Ablehnung der Mutterrolle?
Wiebke Schenter: Genau, das steckt ja letzten Endes auch schon im Titel drin, auch wenn die Leute immer meinen, sie möchten das nicht lesen. Und ich verstehe ja auch ein bisschen den Knoten im Kopf, weil ich ja ohne die Kinder keine Mutter wäre. Also für die, wenn ich die Mutterrolle ablehne, lehne ich automatisch die Kinder mit ab. Und man muss schon sich bemühen, das ein bisschen trennen zu können.
Elternseite: Ein Mädchen, das meint, später möchte es keine Mama werden, sondern lieber Papa, ist das auch...
Wiebke Schenter (lacht): Ja, auch das ist eine Möglichkeit, wie viele Frauen durchaus empfinden, das ist auch die Rückmeldung aus der Community. Weil Männer ihr Leben leichter leben können. Obwohl das bei den neuen Vätern nicht mehr so ist, verstehe ich natürlich den Ansatz dahinter.
Regretting Motherhood ist auch etwas sehr individuelles, bei mir z.B. wurden durchs Muttersein sehr starke Ängste getriggert. Diese Kontrollverluste, die man automatisch erlebt, wenn man Kinder hat. Man wird so hineingeschmissen in Situationen von einer Sekunde auf die andere, vielleicht klingelt jetzt gleich das Telefon und der Kindergarten ruft an. Das hat mich zum Teil auch krank gemacht, dann natürlich dieses Aufopfern, diese Erschöpfungsdepression.
Wenn man selbst schon einen schweren Rucksack zu tragen hat und die Mutterrolle noch oben darauf kommt, dann kann das einfach zu schwer sein. Dann würde das auch nichts helfen, wenn du ein liebender Vater bist. Diese Verantwortung zu tragen, kann auch für Männer zu schwer sein. Gerade, wenn du so stark liebst und diese Verantwortung zu 100% anerkennst. Und das hat dann wieder nichts mit dem Geschlecht zu tun.
Wenn Mutterschaft ein offenes Konzept wäre, dann gäbe es kein Regretting Motherhood, sondern einfach Mütter, die nicht so gern Mutter sind und Mütter, die gern Mutter sind und es wäre nicht so ein Drama.
Elternseite: Aber es gibt doch an Mütter andere gesellschaftliche Erwartungen?
Wiebke Schenter: Ja, auf jeden Fall. Es gibt so zwei Säulen, einmal die gesellschaftlichen Anforderungen an dich als Mutter und Frau, und dann deine persönlichen. Das trifft aufeinander und entscheidet dann, wie du dich als Mutter fühlst.
Elternseite: Was hilft gegen solche Gefühle?
Wiebke Schenter: Mir persönlich hat am meisten die radikale Akzeptanz der Gefühle geholfen. Wenn wir ignorieren und unterdrücken, funktioniert das mit keinen Gefühlen. Mir ging es schlechter, als ich dagegen angekämpft habe und mich so schwer geschämt habe und versucht habe zu tun, als ob alles ok wäre. Anstatt einfach zu sagen: Hey, das bin ich nicht: Lass uns lieber schauen, wie wir zu diesem Problem eine Lösung finden.
Solange wir nicht sagen, so ist es, können wir auch nicht damit arbeiten. Dann ging es einfach darum, ehrlich zu sich selbst sein, was man braucht, wer man ist, was einem fehlt. Da sind natürlich die Strategien so unterschiedlich wie die Frauen. Ich brauche z.B. viel Alleine-Zeit, ich habe angefangen, mir diese Zeit zu nehmen, sehr regelmäßig. Es tut mir immer leid, das zu sagen, weil es an so viele Privilegien geknüpft ist. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie es Müttern geht, die alleinerziehend in so einer Problematik drinstecken.
Leichter umzusetzen ist, diese Glaubenssätze über Bord zu werfen. Bei uns läuft eben der Fernseher. Wenn die Kinder im Kindergarten waren, haben die da gescheites Essen gekriegt, wenn die abends Fruchtzwerge essen, streite ich doch darüber nicht. Ich mache es mir also wirklich leicht. Wir genießen die Zeit, die wir miteinander verbringen müssen, so richtig. Wir sind von außen schon genug getrieben, halten uns an all diese Regeln, meine Kinder und ich.
Hier in unserer kleinen Familie machen wir es uns so schön wie möglich. Nicht erst im Urlaub, sondern jeden Tag. Wir machen‘s uns wirklich gemütlich, das macht viel Leichtigkeit in unserem Alltag. Ich bin happy mit den Kindern, wir haben eine lustige Zeit miteinander.
Elternseite: Kann Regretting Motherhood mit der Zeit auch wieder vergehen?
Wiebke Schenter: Vielleicht. Die extreme Fremdbestimmung, dieses ständige verfügbar sein, ist natürlich stärker, je kleiner die Kinder sind, und nimmt tendenziell ab. Aber man sagt ja: kleine Kinder, kleine Sorgen, große Kinder, große Sorgen. Also diese Ängste, die ich mir um meine Kinder mache, bleiben.
Elternseite: Heißt das auch, ohne die Liebe zu Kindern gäbe das Regretting nicht…
Wiebke Schenter: Also ohne die Liebe zu den Kindern, würde ich sagen, gäbe es kein Regretting Motherhood. Weil dann würde ich einfach sagen, gefällt mir nicht, ich gehe – wie viele Väter es ja machen.
Elternseite: Kann das auch so ein Zwischending sein, dass man sagt, obwohl man mehrere Kinder hat, mit dem Wissen von heute würde man es bei einem Kind belassen?
Wiebke Schenter: Ja, auch. Das ist ja auch heilend für mich gewesen, an die Öffentlichkeit zu gehen. Da ist nicht nur viel Shitstorm, sondern auch wirklich viele Frauen sagen „ich auch“, „ich auch“, „ich auch“. Es gibt wirklich alle Varianten. Nach dem vierten, fünften Kind. Ich selbst war auch so überzeugt, dass Kinderkriegen mein Lebensglück sein wird. Sich einzugestehen, dass es nicht so ist, hat Jahre gedauert.
Elternseite: Auf Instagram thematisieren Frauen auch ihren unerfüllten Kinderwunsch. Wie geht es dir damit?
Wiebke Schenter: Ich sage, das ist komplett unabhängig, weil wir Leid nicht miteinander vergleichen können. Ja, es ist unfair, selbstverständlich ist es total unfair, dass ich, die keine Mutter sein will, Kinder habe und jemand, der unbedingt Mutter sein will, keine Kinder hat. Aber es ist für uns beide unfair. Ich leide ja auch darunter und versuche, das Beste daraus zu machen. Und finde Strategien, damit umzugehen, damit ich damit gut leben kann und meine Kinder gut leben können.
Die gleiche Aufgabe hat die Frau mit dem unerfüllten Kinderwunsch ja leider auch. Sie muss auch Strategien für sich entwickeln, Lösungen finden, wie sie trotzdem glücklich werden kann. Es ist hart und ich werde diesen Wunsch niemand absprechen, nur weil es bei mir nicht klick gemacht hat.
Ich habe tatsächlich auch Mütter, die ihre Mutterschaft bereuen, die viele künstliche Befruchtungen hinter sich haben, die viel Geld ausgegeben haben, diesen ganzen Leidensweg hinter sich haben, wo es dann irgendwann geklappt hat. Die mir jetzt schreiben und sagen, ich kann das doch niemand sagen, ich habe zehn Jahre an diesem Kind gebastelt und jetzt ist es da und ich will das alles gar nicht. Selbst da kann es passieren, weil du einfach vorher nicht weißt, wie es sich anfühlt, was es mit dir macht, niemals mehr alleine zu sein. Wir sollten uns nicht gegeneinander ausspielen, das ist das Wichtigste.
Elternseite: Was erwartet die Follower:innen auf deinem Account sonst noch so neben dem Thema Regretting Motherhood?
Wiebke Schenter: Ehrliche Elternschaft, ehrliche Mutterschaft, diese einfach ungeschönt zeigen. Wie es ist, eine unaufgeräumte Wohnung zu haben, genervt davon zu sein, dass ein Termin nicht stattfinden kann, weil ein Kind schon wieder krank ist. Dass man keine Lust hat, zu spielen und auch nicht jeden Tag frisch kocht. Aber genauso, wie wir alle gemeinsam zu viert im Bett kuscheln.
Das ganze Spektrum, und ohne Bewertung, das ist so wichtig. Nur weil jemand jeden Tag frisch kocht für die Kinder, ist das nicht unbedingt die bessere Mutter. Vielleicht schreit sie dafür häufiger, weil die Kinder sie in Ruhe kochen lassen müssen. Es ist total wichtig, dass solche Oberflächlichkeiten niemals ausmachen, wer du wirklich bist als Mutter zu deinen Kindern.
Ich möchte den Frauen gerne Leichtigkeit vermitteln, dass sie nicht so viel grübeln über das, was sie machen. Dass sie fünfe grade sein lassen, jeden einzelnen Tag, damit es allen gut gehen kann und vor allem ihr, der Mutter, gut gehen kann. Es ist so ein alter Spruch: "Wenn's der Mutter gut geht, geht's den Kindern eh gut."
Das ist so wichtig: Mach‘s dir leicht, mach‘s dir schön. Mach dir ein schönes Leben, schau auf dich, nimm nicht alles so ernst, mein Gott, es ist furchtbar genug.
Wir bedanken uns für das Interview!
- Über Wiebke Schenter: Wiebke Schenter ist die Frau hinter dem Instagram-Account @piepmadame, schreibt Kolumnen, Bücher und ist Expertin für das Thema Regretting Motherhood.
- Mehr von und über Wiebke Schenter gibt es auf ihrem Instagram-Account @piepmadame.