Krisen & psych. Auffälligkeiten
17. Okt. 2024
·
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Autismus-Spektrum-Störung: was Eltern dazu wissen sollten

Geschrieben von:
Elternseite Team
Elternseite Team
Artikelinfo:

Wenn Sie eine Person mit Autismus kennen, kennen Sie eine Person mit Autismus. Jeder (autistische) Mensch ist einzigartig. Da es sich um ein großes Spektrum handelt, ist es gar nicht so einfach zu erkennen, was mit der Autismus-Spektrum-Störung (ASS) gemeint ist. Welche Gemeinsamkeiten es innerhalb dieses Spektrums gibt und wie man Kinder und Jugendliche mit ASS unterstützen kann, soll in diesem Artikel behandelt werden.  

Bei der Autismus-Spektrum-Störung, abgekürzt ASS, handelt es sich um eine neurologische Besonderheit, welche die Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitung sowie die soziale Kommunikation beeinträchtigt. Das große Autismus-Spektrum reicht von kognitiv stark eingeschränkten bis zu hochintelligenten Menschen mit möglicherweise eigenartig wirkenden Merkmalen. Die ASS ist gekennzeichnet durch anhaltende Defizite in der Fähigkeit, wechselseitige soziale Interaktionen zu initiieren und soziale Kommunikation aufrechtzuerhalten. Zudem charakterisiert sie eingeschränkte, sich wiederholende und unflexible Verhaltensmuster, Interessen oder Aktivitäten, die für das Alter und den soziokulturellen Kontext der Person eindeutig untypisch oder exzessiv sind. Schließlich kommen bei vielen Ausprägungen noch Wahrnehmungsbesonderheiten dazu, wie z.B., dass es zu Reizüberflutungen kommt oder auf bestimmte Reize besonders empfindlich reagiert wird. Diese Merkmale gehören zu den persönlichen Eigenschaften der Person dazu und beschränken sich nicht auf einzelne Situationen oder Bereiche.

 

Diese Besonderheiten können zu Beeinträchtigungen in persönlichen, familiären, sozialen, schulischen, beruflichen oder anderen Bereichen führen, die, je nach sozialem, erzieherischem oder anderem Kontext, variieren. Sie sind durchgängig und in allen Bereichen beobachtbar. Personen, die dem Spektrum angehören, weisen also ein breites Spektrum an intellektuellen Funktionen und Sprachfähigkeiten auf, weshalb auch von Neurodiversität gesprochen wird.

entstehung

ASS beginnt meist in der frühen Kindheit bzw. im Laufe der Entwicklung. Symptome sind oft erst später erkennbar, wenn die sozialen Anforderungen die Fähigkeiten übersteigen. Dies kann z.B. beim Schuleintritt der Fall sein. 

Ursachen für die Autismus-Spektrum-Störung sind sowohl genetische als auch Umweltfaktoren.

Expertinnen und Experten sehen es als gesellschaftliche Aufgabe, ASS als neurologische Vielfalt und nicht als Störung zu sehen, da nicht jede Änderung der Norm eine Krankheit ist. Autistische Menschen haben eine andere neurologische Reife und Funktion, sind aber nicht per se krank. Diese, und vor allem extreme Normvarianten gehen allerdings mit Krankheitsrisiken und Problemen im Alltag einher. Daher sollen sich Betroffene, deren Angehörige, sowie die Gesellschaft mit den Stärken und Schwächen auseinandersetzen, die es unweigerlich gibt. 

Unterschiedliche Typen?

In der neuesten Fassung des Klassifikationssystems ICD-11 (11. Fassung der Internationalen Statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der Weltgesundheitsorganisation), das bald Anwendung finden wird, gibt es keine Einteilungen in unterschiedliche ASS-Typen mehr. Viel mehr wird innerhalb des Spektrums zwischen Schweregraden der Einschränkungen der kognitiven Entwicklung und funktionaler Sprache unterschieden. Derzeit unterscheidet das ICD-10 (10. Fassung) noch zwischen: frühkindlichem Autismus, atypischem Autismus und Asperger-Syndrom.

 

Beim frühkindlichen Autismus bleibt die Sprache aus oder setzt erst viel später ein. Er manifestiert sich also bereits vor dem 3. Lebensjahr. Viele Betroffene weisen auch kognitive Einschränkungen auf.

 

Der atypische Autismus unterscheidet sich vom frühkindlichen Autismus entweder durch das Alter bei Beginn der Auffälligkeiten (Manifestation nach dem 3. Lebensjahr) oder dadurch, dass nicht alle Kriterien eines frühkindlichen Autismus erfüllt sind. Auch hier weisen Betroffene häufig kognitive Einschränkungen auf.

 

Das Asperger-Syndrom wird mit dem Begriff „hochfunktionaler Autismus“ gleich verwendet. Er unterscheidet sich von anderen Formen durch fehlende kognitive oder sprachliche Entwicklungsverzögerungen. Betroffene scheinen von außen betrachtet „weniger eingeschränkt“.

 

Da der „hochfunktionale Autismus“ immer häufiger diagnostiziert wird, möchten wir auf typische Charakteristika eingehen. Dabei ist wichtig zu beachten, dass nicht jede:r mit dieser Diagnose alle diese Merkmale zeigt und nicht jede:r, die oder der diese Charakteristika aufweist, die Kriterien für eine Diagnose erfüllt. Menschen mit Asperger-Syndrom sind individuell und weisen oftmals Einschränkungen in folgenden Bereichen auf:

Soziale Interaktion

Menschen mit Asperger-Syndrom setzen im Gespräch wenig Gestik und Mimik ein, der Blickkontakt ist eher flüchtig und die gemeinsame Aufmerksamkeit (joint attention) ist eingeschränkt. Manche Betroffene fühlen sich dadurch dann einsam und isoliert.

Kognitive Empathie

Betroffene haben Schwierigkeiten, nonverbale Signale (Körpersprache, Gestik, Mimik) zu erkennen.

Sprache

Die Sprachentwicklung kann „eruptiv“ sein; das heißt, dass bspw. bis zum 2. Lebensjahr gar nicht gesprochen wird und dann aber gleich in ganzen Sätzen. Die Sprachmelodie wirkt oft monoton, bildhafte Ausdrücke werden nicht verstanden und die Sprache wird kaum bis gar nicht an den sozialen Kontext angepasst. Die Sprache wirkt außerdem durch eine pedantische und repetitive Redeweise auffällig. Oft besteht auch kein Interesse an Smalltalk.

Interessen & Aktivitäten
Betroffene weisen häufig Spezialinteressen von ungewöhnlicher Intensität und Inhalt auf; d.h. dass es auch Themen sein können, welche Kinder üblicherweise nicht interessieren (Buslinien, Flaggen, etc.). Sie beschäftigen sich damit intensiv und eigenen dazu Wissen an, sodass sie darüber monologisieren können. Spezialthemen können wechseln, wobei Interessen überdurchschnittlich lange andauern. Das Wissen geht dann über „normale“ Kenntnisse hinaus. 
Das Spielverhalten zeichnet sich durch weniger Fantasiespiele aus. Beim Spielen bleiben sie außerdem oft für sich und „präsentieren“ ihre Errungenschaften nicht. Sie erwarten sich keine soziale Reaktion. 
Wahrnehmung

Menschen mit Asperger-Syndrom zeigen oft auch Wahrnehmungsverarbeitungs-störungen mit den bekannten Über- und Unterempfindlichkeiten (z.B. Schwierigkeiten bei hohem Lärmpegel, Berührungen, Gerüche, visuelle Reize). Dies führt zu einer erhöhten Herausforderung, sich zu entspannen. Eine solche Reizüberflutung wird Overload genannt und kann dazu führen, dass es zu einem "Meltdown" kommt, welcher wie ein Wutausbruch wirkt, aber keiner ist, sondern Zeichen hoher emotionaler Not. Schreien und um sich schagen sind Versuche, dieser Situation zu entfliehen.

Gewohnheit & Spontanität

Die sogenannte „Kontextblindheit“ ist für alle Ausprägungen der ASS ein typisches Merkmal. Damit ist die relative Unfähigkeit gemeint, die eigenen Handlungen und Reaktionen angemessen flexibel auf den sozialen Kontext abzustimmen. Dadurch werden Gewohnheiten und vorhersehbare Strukturen, Abläufe und Rituale wichtig. 

  • Weiteres: 
    50% (Je nach Quelle 30-80%) haben auch eine Aufmerksamkeitsdefizit-(Hyperaktivität)-Störung (AD(H)S). Zusätzlich kommt in manchen Fällen auch eine Hochbegabung hinzu.
     
Kind spielt vertieft mit Sand in den Händen

Neben diesen Eigenschaften weisen viele Menschen mit ASS, unter anderem, auch oft die Stärke der Detailgenauigkeit auf. Es kann sein, dass z.B. Aufgaben eher langsam, dafür sehr genau durchgeführt werden. Außerdem sind viele mit einer ASS-Diagnose in Freundschaften und Beziehungen besonders loyal - zusätzlich dazu auch sehr ehrlich, weil sie oftmals kaum lügen können. 

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können
eltern
Tun?

Was ist los? - Diagnostik

Zuerst ist es wichtig, dass Sie aufmerksam sind und bei Auffälligkeiten hellhörig werden. Oft haben Eltern vor einer Diagnose Angst, weil sie befürchten, dass das Kind Stigmatisierung ausgesetzt werden könnte. Dabei kann eine Diagnose selbst schon oft sehr entlastend sein, da z.B. vor allem im schulischen Kontext klar wird, welchen Erwartungen das Kind überhaupt gerecht werden kann und welchen nicht. Außerdem profitieren Menschen mit ASS von unterschiedlichen Unterstützungsangeboten. Je früher sie gefördert werden, desto besser können Betroffene mit ASS umgehen.

Behandlung und Unterstützung

Da ASS nicht „geheilt“ werden kann, geht es vielmehr um die Anpassung an Bedürfnisse von autistischen Menschen und die Verhinderung möglicher negativer psychosozialer oder auch gesundheitlicher Konsequenzen. Menschen mit Autismus kommen häufig wegen Depressionen und/oder Angststörungen in Behandlung. Dabei sollte die ASS-Thematik mitberücksichtigt werden. Die Kernsymptome können zwar nicht geändert werden, aber der Umgang damit. Daher ist es von zentraler Bedeutung, dass Sie sich durch Professionistinnen und Professionisten beraten und unterstützen lassen, wenn Ihr Nachwuchs im Spektrum ist. 

Soziale Fertigkeiten üben

Vor allem bezüglich sozialer Defizite können Sie Ihr Kind unterstützen, da soziale Interaktionen teilweise erlernt werden können. Wichtig ist auch, dass sie in der Kommunikation mit Ihrem Kind sehr klar und deutlich aussprechen, was sie von ihm wollen und Redewendungen, Ironie und bildliche Sprache, Metaphern und Zynismus vermeiden, weil diese oft nicht verstanden werden.

Routine einbauen

Schließlich ist es wichtig, auf die Vorhersagbarkeit von Abläufen und klare Tagesstrukturen zu investieren, da diese Ihrem Kind, das sich mit Spontanität und Flexibilität schwertut, sehr helfen kann. Regeln, Strukturen und Rituale geben Ihrem Kind Halt. Gemeinsam Handlungen zu visualisieren, kann ebenso entlastend wirken und bei der Umsetzung dieser unterstützen.

Rückzugsorte schaffen

Für manche Kinder mit (oder auch ohne) ASS ist die Möglichkeit, sich zurückziehen zu können, extrem wichtig. Überlegen Sie gemeinsam, wie so ein Rückzugsort aussehen kann und was Ihrem Kind guttut

Dem Kind etwas zutrauen

Schließlich: Trauen Sie Ihrem Kind auch Sachen zu. Fokussieren Sie auf seine Fähigkeiten und das, was es gut kann. Möglicherweise braucht Ihr Kind länger, um Neues zu lernen. Bleiben Sie geduldig und unterstützen Sie auch kleine Entwicklungsschritte.  

Weitere Anlaufstellen: